Der ‚perfekte Sturm‘ in der (Lebensmittel-)Industrie - ein Update

Vor ein paar Monaten habe ich einen viel gelesenen Blog über den perfekten Sturm in der Lebensmittelbranche geschrieben(Blog: perfekter Sturm). Viele Unternehmen hoffen, dass sich der Sturm 2019 legen wird und sie auf natürliche Weise mehr Halt und Kontrolle über ihre Situation gewinnen werden. Das ist wie bei Fröschen in einem Topf mit Wasser, dessen Temperatur immer weiter steigt. Ein Grad mehr (oder ein zusätzliches Produkt) ist nicht so schlimm, bis es plötzlich zu viel und zu komplex wird. Besonders in (Familien-)Unternehmen, in denen die Kundenorientierung in den Genen liegt, ist der Druck nach einem zusätzlichen oder anderen Produkt groß. Die Chancen sind jedoch groß, dass plötzlich die Leistung einbricht, zusätzliche Kosten für die Einstellung von Personal anfallen und Kundenreklamationen aufgrund schlechter Lieferleistung folgen. Wie erkennen Sie als Management, ob Sie sich in einer Negativspirale befinden und wie kommen Sie da wieder heraus?

Ein einziger zusätzlicher Artikel führt nie zu einem direkten Anstieg der Komplexität

Cruijff sagte einmal: „Man fängt erst an, es zu sehen, wenn man es realisiert“. Das Gleiche gilt für die Komplexität. Marketing und Vertrieb arbeiten (wenn alles gut geht) an Innovationen, kundenspezifischen Anpassungen von Rezepturen oder Verpackungen, die den richtigen Selbstkostenpreis haben. Außerdem steigen die Anforderungen aus der Qualitätsperspektive, was in der Praxis zu zusätzlicher Reinigung und z.B. einer besseren Trennung der Rohstoffe führt. In den Betrieben wird dann gemeckert, dass noch ein weiterer Artikel, ein anderes Format oder eine zusätzliche Reinigung hinzukommt, aber am Ende doch immer der eine Artikel passt. Auf diese Weise wird die Komplexität erhöht, und es ist nicht klar, welche und wie viel Auswirkungen dies auf den Selbstkostenpreis und die Herstellbarkeit in den Betrieben hat. Aber selbst wenn dies nicht direkt zu sichtbaren Mehrkosten führt, kann es dazu führen, dass der Selbstkostenpreis des gesamten Portfolios unter Druck gerät.

Die Objektivierung der Komplexität ist die Grundlage für eine gute Diskussion im Vorstand mit Handel, Qualität und Betrieb

Damit wird Komplexität oft subjektiv und Diskussionen führen schnell zu einem Ja-Nein-Spiel zwischen Handel, Qualität und Betrieb. Die Herausforderung besteht darin, Komplexität zu objektivieren. Innerhalb des Managements zu klären, ob die Komplexität tatsächlich zugenommen hat, in welchen Artikeln und mit welchen Kunden, Kanälen oder Kategorien, so dass konkrete Maßnahmen ergriffen werden können. Eine Objektivierung findet jedoch kaum statt und die Diskussionen bleiben daher subjektiv. Besonders in (Familien-)Unternehmen mit starkem Unternehmergeist kann das Bauchgefühl wichtiger sein als die nackten Fakten. Die „Konfrontation mit den brutalen Fakten“ ist notwendig, aber wie machen Sie das?

Die Komplexität liegt in mehreren Faktoren begründet

Die naheliegendsten Analysen sind die Betrachtung der historischen Entwicklung von z.B. der Anzahl der Rezepturen, der Verpackungsformen, des Handlungsdrucks, der Rohstoffe und der Produktionsmengen. Das kann schon zu interessanten Einsichten führen: zum Beispiel, dass die Anzahl der Produktionschargen und der Reinigungsstunden stark angestiegen ist. Aber manchmal geben diese Analysen einen zu begrenzten Einblick in die tatsächliche Entwicklung des Portfolios. Die Komplexität liegt nicht in der Anzahl der SKUs und es ist ein anderer Ansatz erforderlich.

In jedem Unternehmen ist es möglich, in Absprache mit der Lieferkette, der Beschaffung, der Produktion und der Qualitätssicherung zu ermitteln, welche Faktoren zur Komplexität beitragen. Ist es die Mischung der Allergene, die für eine Umstellung benötigte Zeit oder die besonderen Fähigkeiten eines Bedieners? Durch die Bewertung dieser qualitativen Faktoren mit Hilfe einer Berichtsnote kann die subjektive Komplexität objektiviert werden. Eine Mischung von Faktoren kann dann zu einer einzigen Berichtsnote oder einem Komplexitätsfaktor pro Artikel zusammengeführt werden. Anhand historischer Daten oder Prognosen können Sie dann feststellen, ob die Gesamtkomplexität zu- oder abgenommen hat. Es ist auch möglich zu sehen, für welche Artikel, Kunden oder Produktgruppen sich die Komplexität verändert hat. Meiner Erfahrung nach führt dies fast immer zu unerwarteten Erkenntnissen. Die Herausforderung besteht dann nicht darin, Artikel sofort zu sanieren, sondern die verschiedenen Komplexitätsfaktoren strukturiert anzugehen, z. B. die Harmonisierung von Allergenen. Ein Nebeneffekt ist auch oft, dass die Methode der Kostenberechnung angepasst werden muss oder sogar der Komplexitätsfaktor Teil der Kostenstruktur wird.

Zusammenfassend

Von klaren Fakten profitiert das gesamte Unternehmen, insbesondere auf Vorstandsebene. Meiner Erfahrung nach können Diskussionen im Vorstand sehr viel reibungsloser und konstruktiver verlaufen, wenn das Thema Komplexität auf den Tisch kommt. Die Diskussion dreht sich dann nicht mehr darum, dass z.B. das operative Geschäft „den kundenorientierten Wandel aufhält“, sondern um eine gemeinsame Herausforderung und einen gemeinsamen Ansatz, der es dem Unternehmen ermöglicht, in einer Welt im Wandel zu gedeihen.